Zusammenfassung
Kliniken müssen wirtschaftlich denken, die Versorgung muss aber dennoch gewährleistet werden. Ein schmaler Grat, denn gutes Personal kostet viel Geld. Und dann wären da noch die verschiedenen Bereiche und die individuellen Herausforderungen bei der Umsetzung von Pflegemaßnahmen. Wie kann man also bestimmen, in welchen Bereichen wie viele Mitarbeiter:innen mind. eingeplant werden müssen?
Damit nicht jede Klinik selbst entscheiden muss, wie eine Schicht besetzt sein sollte, gibt es die sog. Pflegepersonalregelung (PPR 2.0). Durch dieses Instrument werden zeitliche Werte definiert (Grund- und Fallwert sowie allgemeine und spezielle Pflege) und anhand dieser Zahlen der Pflegeaufwand bemessen. So wird festgelegt, wie viel Arbeitszeit für die Versorgung benötigt wird und wie viel Personal im Dienst vertreten sein muss.
In diesem Kapitel stellen wir vor:
- Die Zielsetzung der PPR 2.0 und ihre Grundsätze
- Die Regularien und Besonderheiten der PPR 2.0
- Die Entwicklung der Pflegepersonalregelung
- Die Berechnung des Zeitwerts für die PPR 2.0 und die Aufgaben der Pflege
- Je einen Exkurs zu den Themen PPR 2.0 für Kinder und PKMS
Zielsetzung der PPR 2.0 und Grundsätze
Ziele
Die Pflegepersonalregelung 2.0 (PPR 2.0) verfolgt das Ziel, den tatsächlichen Pflegebedarf in deutschen Krankenhäusern realistisch und nachvollziehbar zu erfassen und darauf basierend eine angemessene Personalbemessung zu ermöglichen. Sie soll:
- Den Personaleinsatz patientenorientiert und bedarfsgerecht planen
- Die pflegerische Versorgungsqualität sichern und verbessern
- Transparenz über die Pflegebelastung herstellen
- Das Pflegepersonal entlasten
- Eine Grundlage für gesetzliche Personaluntergrenzen schaffen
- Teil der gesetzlichen Krankenhausfinanzierung werden
Mit der PPR 2.0 wird also ein einheitliches Instrument zur pflegerischen Personalbedarfsbemessung eingeführt, das die willkürliche Personalplanung einzelner Häuser begrenzen soll!
Der Personalbedarf, der durch die PPR 2.0 berechnet wird, ist und bleibt ein Mindestmaß an benötigten Mitarbeiter:innen! Natürlich ist ein noch besserer Personalschlüssel wünschenswert!
Weitere Regularien und Besonderheiten
- Qualifikationsdifferenzierung: Examinierte Pflegende und Pflegehilfskräfte werden bei der Personaleinsatzplanung differenziert berücksichtigt
- Tätigkeiten, die keine Fachqualifikation erfordern (z.B. Essen bestellen), können auch von ungelernten Kräften übernommen werden
- Anpassung der offiziellen Schichtzeiten:
- Tagdienst: 6:00–22:00 Uhr
- Nachtdienst: 22:00–6:00 Uhr
- Bürokratieabbau: Grund- und Fallwerte werden automatisch hinterlegt
- Zukunftsorientierung: PPR 2.0 berücksichtigt bereits jetzt die Auswirkungen des demografischen Wandels und plant den steigenden Pflegebedarf durch eine alternde Gesellschaft ein
- Pflegezeitsteigerung: Im Vergleich zur alten PPR steigt die durchschnittliche Pflegezeit um 8,1%
- Datenübermittlung ans InEK: Krankenhäuser sind verpflichtet, regelmäßig strukturierte Personal- und Leistungsdaten digital an das InEK (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus) zu übermitteln
In einigen Bereichen (bspw. Intensivstationen) wird die Personalbemessung nach wie vor anhand der sog. Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV) bestimmt, da die PPR 2.0 dort noch nicht greift!
Vergleich der Entwicklung PPR und PPR 2.0
Entwicklung und Einführung der PPR 2.0 | ||
---|---|---|
Jahr/Ereignis | Bedeutung | Konkrete Auswirkungen in der Praxis |
1992 – Einführung der PPR | Erste bundesweite Regelung zur Personalbemessung | Orientierung an Pflegekategorien A–C, jedoch ohne Verbindlichkeit |
1996 – Außerkraftsetzung | PPR entfällt als Abrechnungsgrundlage | Personalplanung liegt in Eigenverantwortung der Häuser (häufige Personaleinsparungen) |
2019 – Einführung von PpUGV | Verbindliche Untergrenzen für ausgewählte Fachbereiche | Pflichtquote für Pflegepersonal z.B. auf Intensivstationen |
2021 – Veröffentlichung der PPR 2.0 | Modernisierte Version als Interimsinstrument | Kliniken können vorbereitend mit PPR 2.0 arbeiten (noch keine rechtliche Pflicht) |
1. Juli 2024 – Teilverbindlichkeit | Pflicht zur Anwendung auf bestimmten Stationen | PPR 2.0 gilt für alle bettenführenden somatischen Erwachsenenstationen |
2024–2026 – Übergangsphase | Stufenweise Erhöhung der Anforderungen | Erste Sanktionen bei Verstößen möglich, aber verhältnismäßig milde (weitere Datenbasis wird geschaffen) |
2027 – Konvergenzphase | Vollständige Verbindlichkeit der PPR 2.0 | Sanktionen bei Personalunterschreitung – PPR 2.0 wird gesetzlich verpflichtend in allen Bereichen |
Berechnung des Zeitwerts
Wie wird der Zeit- bzw. Arbeitsaufwand und das nötige Personal nun konkret berechnet? Das Grundprinzip der PPR 2.0 basiert auf einer Zeitberechnung des Pflegebedarfs pro Person. Der Gesamtpflegeaufwand ergibt sich aus 4 Komponenten.
- Grundwert
- Fallwert
- Allgemeine Pflege (A)
- Spezielle Pflege (S)
Der Pflegepersonalbedarf berechnet sich genau aus dieser Formel: Grundwert + Fallwert + A + S = Gesamtzeitwert! Dies ergibt den zeitlichen Aufwand für die Versorgung aller Patient:innen.
Grundwert
Zunächst erhalten alle zu behandelnden Personen in medizinischen Einrichtungen einen zeitlichen Grundwert.
Der aktuelle Grundwert beträgt 33 Minuten pro Tag pro Person und wird bei allen Pflegeempfänger:innen gleich angesetzt! Bei isolationspflichtigen Erkrankungen wird der Minutenwert etwas angehoben, da diese Patientengruppe einen höheren organisatorischen Aufwand hat!
Dieser ist grundsätzlich für alle Pflegeempfänger:innen gleich und wird daher automatisch bei der Aufnahme zugeordnet. Der Wert spiegelt alle Tätigkeiten wider, die auf das Pflege-Team tagtäglich zukommen. Mit jedem Tag, den die zu Pflegenden in der Klinik bleiben, summiert sich dieser Grundwert also.
Fallwert
Bei jeder Aufnahme (also bei jedem neuen „Fall“) wird zusätzlich ein Fallwert ermittelt, der bei allen zu versorgenden Personen gleich ist. Der Fallwert steht für die Arbeitszeit, die bei jeder Neuaufnahme benötigt wird. Er berücksichtigt somit den Aufwand für u.a.
- Pflegerische Anamnese
- Informationssammlung
- Pflegeplanung
- Expertenstandards
- Entlassmanagement
- u.v.m.
Es wird dabei ein Wert von 75 Minuten ab der Aufnahme berechnet! Der Fallwert wird jedoch nur einmalig berechnet, ganz egal, wie lange die Person in der Klinik behandelt wird!
Allgemeine Pflege (A)
Während Grund- und Fallwerte eher den organisatorischen Aufwand darstellen, handelt es sich bei den folgenden Einordnungsmerkmalen um pflegerische Tätigkeiten, die den größten Teil des Zeitaufwands im Pflegealltag widerspiegeln.
Daraus ergibt sich der individuelle zeitliche Aufwand einer jeder zu behandelnden Person für den jeweiligen Tag. Dieser Minutenwert wird dann ebenfalls mit der Gesamtsumme des Zeitwerts addiert. Diese Einschätzung obliegt dem Pflege-Team (wird i.d.R. in der digitalen Patientenakte abgeklickt). Das System beinhaltet pflegerische Leistungen, bspw. für die Körperpflege, Ernährung, Mobilisation. Täglich erfolgt eine Einteilung in 4 Leistungsstufen (A1–A4).
- A1 – Grundleistungen: Geringer Unterstützungsbedarf
- A2 – Erweiterte Leistungen: Teilweise Unterstützung bei mehreren Maßnahmen
- A3 – Besondere Leistungen: Erhöhter Pflegebedarf mit intensiverer Begleitung
- A4 – Hochaufwendige Leistungen: Umfassende Unterstützung in nahezu allen pflegerischen Bereichen
Warum eigentlich jeden Tag neu einstufen? Da sich der Zustand der Erkrankten jeden Tag verbessern oder verschlechtern kann, ist eine tägliche Neueinstufung notwendig!
Spezielle Pflege (S)
Ein weiterer gesonderter Bereich ist die sog. „spezielle Pflege“. Diese beinhaltet u.a. Pflegeleistungen im Zusammenhang mit
- Operativen und invasiven Maßnahmen
- Akuten Krankheitsphasen
- Medikamentösen Maßnahmen
- Wund- und Hautversorgung
Die tägliche Einteilung erfolgt in 4 Stufen (S1–S4)
- S1 – Grundleistungen: Regelpflege bei unkompliziertem Verlauf
- S2 – Erweiterte Leistungen: Zusätzlicher Aufwand
- S3 – Besondere Leistungen: Komplexere Betreuung
- S4 – Hochaufwendige Leistungen: Pflege in akuten oder hochkomplexen Krankheitsphasen
Ups, Einstufung vergessen? Nicht eingestufte Personen erhalten standardmäßig A1 und S1. So ist auch bei Nicht-Erfassung ein Mindestaufwand dokumentiert und die Versorgung wenigstens basal abgebildet!
Wer A und S nicht täglich nennt, der hat das Pflegegeld verpennt!
Pflegezeitwerte (Minuten) nach A- und S-Stufen gemäß PPR 2.0
Minutenwerte nach Einteilung der allgemeinen und speziellen Pflege | ||||
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A- und S-Einteilung | S1 | S2 | S3 | S4 |
A1 | 59 min | 76 min | 112 min | 151 min |
A2 | 114 min | 131 min | 167 min | 206 min |
A3 | 203 min | 220 min | 256 min | 295 min |
A4 | 335 min | 352 min | 388 min | 427 min |
Exkurs: Unterschiede bei der Kinder-PPR 2.0
Für die kleinen Patient:innen gibt es ein eigenes PPR-2.0-Prinzip: Das Kinder-PPR-2.0 orientiert sich grundsätzlich am selben Modell wie die PPR 2.0 für Erwachsene, wurde jedoch in wichtigen Punkten angepasst, um den besonderen Anforderungen der pädiatrischen Pflege gerecht zu werden.
- Inhaltlicher Bezug zum Kindesalter
- In der allgemeinen Pflege werden bspw. altersgerechte Kommunikation, entwicklungsfördernde Maßnahmen und Elternarbeit mit berücksichtigt
- Die spezifische Pflege beinhaltet Leistungen wie das Management chronischer Erkrankungen, die Schulung der Eltern oder den Umgang mit kindlichen Ängsten
- Elternarbeit ist Teil der Pflegezeit
- Bei Kindern <10 Jahren wird die Einbindung und Anleitung der Eltern ausdrücklich als pflegerische Leistung gewertet
- Bei Säuglingen ist u.a. das Handling, Trösten, Wickeln, Stillen (bzw. mit dem „Fläschchen“) relevant
- Einstufung ist sensibler
- Die Stufen A1–A4 und S1–S4 sind inhaltlich anders definiert, um kindgerechte Pflegeaspekte wie emotionale Unterstützung, Spielangebote oder altersbedingte Abhängigkeiten korrekt einordnen zu können
- Eigenständiges Bewertungssystem
- Die Einstufungskriterien für A und S unterscheiden sich inhaltlich klar von denen der Erwachsenenregelung, da sich die Pflegebedarfe bei Kindern nicht direkt übertragen lassen
- Zusätzlicher Schulungsbedarf
- Neben dem Grundsystem der PPR 2.0 muss in der Pädiatrie zusätzlich die Kinder-PPR-2.0 an die Mitarbeitenden herangetragen werden
Exkurs: Pflegekomplexmaßnahmen-Score (PKMS)
Der Pflegekomplexmaßnahmen-Score (PKMS) wurde eingeführt, um im DRG-System besonders aufwendige pflegerische Leistungen im Klinikalltag sichtbar und abrechenbar zu machen. Hintergrund war, dass der hohe pflegerische Aufwand bei Patient:innen mit z.B. Demenz, Delir, ausgeprägter Immobilität oder Multimorbidität im bisherigen Abrechnungssystem nicht ausreichend berücksichtigt wurde.
Der PKMS erfasste standardisiert bestimmte pflegerische Maßnahmen, die über die Grundpflege hinausgehen, und ermöglichte eine leistungsbezogene Zusatzvergütung über das DRG-System.
Mit der Einführung der PPR 2.0 als neues Personalbemessungsinstrument verliert der PKMS jedoch an Bedeutung. Die PPR 2.0 bildet den pflegerischen Aufwand besser ab und dient als geeignetere Grundlage, um die Finanzierung bzw. den Bedarf des Pflegepersonals genauer bestimmen zu können.
Die PKMS gilt inzwischen als Auslaufmodell!